‚Was die Toten sehen‘ von A. K. Turner

Eigentlich wollte ich die Reihe längst an den Nagel hängen – und zum Glück habe ich es nicht getan.

Manchmal hat man diese Buchreihen, bei denen man denkt: „Okay, genug gesehen, ich brauche eine Pause.“ Genau so ging es mir mit Cassie Raven. Und dann kam ‚Was die Toten sehen‘ – Band 4 – und hat mich wieder genau da abgeholt, wo ich irgendwann stehen geblieben war. Mit staubigen Doc-Martens, jeder Menge schwarzem Humor und einer Forensikerin, die einfach anders ist als der Rest.

Cassie Raven, unser liebster Punk in der Rechtsmedizin, stolpert diesmal wortwörtlich in ihren neuen Fall. Auf dem Weg zur Arbeit landet sie mitten in eine Polizeiabsperrung – eine Blutlache, ein Balkon im 10. Stock und die typische Stille nach einer Katastrophe. Alles deutet auf einen Suizid hin. Routine, möchte man meinen. Bis Cassie die Tote sieht.

Bronte.

Eine gefeierte Sängerin kurz vor dem Durchbruch. Talentiert, strahlend – und eine ehemalige Klassenkameradin von Cassie.

Was als scheinbar klarer Fall beginnt, bekommt schnell Risse. Eine fragwürdige Abschieds-SMS, Gerüchte um Partyeskapaden und ein paar winzige Details bei der Obduktion, die Cassies Bauchgefühl alarmieren. Und wenn Cassies Bauchgefühl etwas sagt, dann sollte man hinhören – schließlich hat sie diese besondere Gabe, die sie das Unausgesprochene spüren lässt.

Und natürlich wäre es kein echter Raven-Fall ohne DS Phyllida Flyte. Auch wenn sie diesmal eher im Hintergrund bleibt, spürt man bei jedem ihrer Auftritte diese besondere Dynamik zwischen den beiden. Zwei Frauen, komplett unterschiedlich, und trotzdem ein Team, das man nicht ersetzen kann.

Was mir an diesem Band besonders gefallen hat, ist die Atmosphäre. Weniger brutale Schockmomente, dafür viel klassische Ermittlungsarbeit, unterschwellige Spannung und genau dieses leicht düstere Grundgefühl, das die Reihe so unverwechselbar macht. Nicht jede Seite trieft vor Adrenalin – das muss sie auch gar nicht. Der Reiz liegt hier im Beobachten, im Zusammensetzen, im Hinterfragen.

Cassie bleibt für mich das Herzstück der Reihe. Kein perfektes Forensik-Genie, keine glattgebügelte Ermittlerin – sondern ein Mensch mit Ecken, Kanten, Tattoos und einer Authentizität, die man selten findet. Genau das macht die Bücher für mich so besonders.

Der Fall selbst war spannend und gut konstruiert, auch wenn er nicht das gigantische Thriller-Feuerwerk zündet. Dafür punktet er mit cleveren Wendungen und einem Ende, das mich dennoch überrascht hat – nicht was passiert, sondern wie abgründig es letztlich wurde.

A. K. Turner schafft es einfach, dieses konstante Spannungslevel zu halten, das einen durch die kurzen Kapitel trägt, ohne je das Gefühl zu geben, der Geschichte geht die Luft aus. Und genau deshalb habe ich das Buch beinahe in einem Rutsch durchgelesen.

Für mich sind die Cassie-Raven-Bücher weiterhin ganz oben dabei, wenn es um forensische Spannung geht. Ein bisschen düster, ein bisschen verrückt, sehr britisch – und immer einen Blick wert.