„Himmelerdenblau“ von Romy Hausmann
(5/5 ⭐ – Emotional, spannend, anders. Ein Buch, das ich nie vergessen werde.)
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ein Buch euch völlig aus der Bahn wirft? Wenn ihr eigentlich etwas anderes geplant habt, aber alle Pläne über Bord werft, weil ihr über dieses eine Buch reden müsst? Genau so ging es mir hier. Eigentlich war für heute eine andere Rezension vorgesehen, aber „Himmelerdenblau“ von Romy Hausmann hat mich so sehr beschäftigt, dass ich nicht länger schweigen konnte.
Oder, um es mit den unvergesslichen Worten meines Großen zu sagen:
„Was war das bitte für ein geiler Scheiß?!“ 🙈
Und das, obwohl ich am Anfang wirklich dachte: „Oh nein, das wird nichts mit uns beiden.“
Der Einstieg: Zäh, verwirrend … und dann BOOM!
Ganz ehrlich, die ersten Kapitel haben mich fast wahnsinnig gemacht. Ich habe mich durch Perspektivwechsel gekämpft, plötzlich tauchten lauter Namen auf, ich musste mir merken, wer wann wo auftaucht, und dann dieser Podcast, der zwischendurch hineingeschnitten wird.
Dazu kommt Theo – einer der zentralen Charaktere. Seine Demenz sorgt dafür, dass sich Gedanken, Erinnerungen und Passagen wiederholen. Anfangs habe ich wirklich gedacht, ich hätte aus Versehen ein Kapitel doppelt gelesen. Und das sage ich euch als jemand, der normalerweise keine Probleme hat, komplexe Handlungen zu durchschauen.
Aber dann passierte etwas: Es klickte. Ich wechselte zum Hörbuch, habe gelesen und gehört im Wechsel, und auf einmal zog mich das Buch komplett in seinen Bann. Es war, als hätte jemand die letzte Schublade in einem gigantischen Puzzle geöffnet, und plötzlich lag das ganze Bild vor mir. Und ich sage euch: Dieses Bild ist düster, emotional und unfassbar spannend.
Worum geht’s?
Am 7. September 2003 verschwindet die damals 15-jährige Julie Novak spurlos. Kein Abschiedsbrief, keine Leiche, kein Hinweis. Ihre Familie zerbricht an der Ungewissheit, Stück für Stück, bis nur noch Bruchstücke übrig bleiben.
Nur ihr Vater Theo gibt nicht auf. Er sucht weiter, Jahr für Jahr, während seine eigene Welt langsam in Dunkelheit versinkt. Theo, ein brillanter Chefarzt an der Charité, muss nicht nur mit dem Verlust seiner Tochter leben, sondern auch mit einer schleichenden, gnadenlosen Krankheit: Demenz.
Zwanzig Jahre später, kurz vor dem Jahrestag ihres Verschwindens, meldet sich Liv, eine junge True-Crime-Podcasterin, bei ihm. Sie behauptet, neue Hinweise gefunden zu haben. Doch Theo muss sich beeilen: Seine Erinnerungen verschwimmen, seine Gedanken verlieren sich im Nebel – und die Wahrheit könnte für immer verloren sein, wenn er jetzt nicht handelt.
Und während Theo kämpft, tun sich weitere Geheimnisse auf:
Warum hütet Julies Ex-Freund Daniel das verschlossene Schlafzimmer seiner verstorbenen Mutter wie ein Heiligtum? Was hat ihre Familie all die Jahre verschwiegen? Und vor allem: Wer zum Teufel hat Julie damals wirklich genommen?
Romy Hausmann hat mich fertiggemacht – im besten Sinne
Ich muss gestehen: Romy Hausmann und ich hatten eine komplizierte Beziehung. Ihr Debüt „Liebes Kind“ war für mich ein absolutes Meisterwerk – ein Thriller, der mich noch Wochen später beschäftigt hat. Aber die nächsten Bücher? Eher solides Mittelfeld, gut, aber nicht überwältigend.
Und dann kommt „Himmelerdenblau“ – und haut mich einfach um. Es ist ein Feuerwerk an Emotionen, Spannung und psychologischer Tiefe.
Der Podcast – True Crime mal anders
Was ich an diesem Buch besonders gefeiert habe, war die Einbindung des Podcasts. Klingt erstmal nach einem typischen True-Crime-Gimmick, oder? Aber Hausmann nutzt das so genial, dass es die ganze Geschichte auf ein anderes Level hebt.
Die Podcast-Passagen sind realistisch, investigativ, fast schon journalistisch brillant. Und sie zeigen eine Perspektive, die in unserer True-Crime-verliebten Gesellschaft oft fehlt: die der Angehörigen.
Wir reden in Podcasts und Dokus oft über Verbrechen, als seien sie Geschichten, die man konsumiert. Aber hier sieht man, was diese Aufbereitung mit denen macht, die zurückbleiben. Wie tief Wunden reißen, wenn private Schicksale öffentlich verhandelt werden. Das war so klug, so bitter und so wichtig.
Theo – mein Herz gehört dir
Theo ist für mich das Herzstück dieses Buches. Chefarzt der Herz-, Thorax - und Gefäßchirurgie der Charitè, stolzer Mann, kluger Kopf – und dennoch so verletzlich. Seine Erinnerungen sind wie ein Teppich, der langsam Faden für Faden auseinandergezogen wird. Es war schmerzhaft, in seinen Kopf zu schauen, und gleichzeitig wunderschön.
Seine Demenz wird nicht romantisiert, nicht weichgezeichnet. Sie ist da, gnadenlos, unaufhaltsam. Und trotzdem gibt es diese Momente, in denen Theo strahlt. In denen er sich erinnert, liebt, lebt. Ich habe gelacht, als er über „wichtige Werte“ spricht („Wenn etwas wichtig ist, trägt man einen Slip!“), und ich habe geweint, wenn die Dunkelheit ihn verschluckt.
Theo hat mich an meinen Opa erinnert, an Gespräche, die wir geführt haben, an Momente, die ich nie vergessen werde. Vielleicht hat mich das so tief getroffen.
Gefühle, Gänsehaut und ein Ende, das nachhallt
Ich sage es, wie es ist: Nach dem zähen Einstieg habe ich dieses Buch verschlungen. Ich habe mich regelrecht vor meiner Familie versteckt, weil ich einfach nicht aufhören konnte.
Und dann das Ende. Ich hätte mir ein anderes gewünscht, ja – aber nicht, weil es schlecht war. Ich saß da, mit Tränen in den Augen, und wusste: Das wird bleiben.
Ein Thriller, der mich gleichzeitig verstört, berührt und sprachlos macht? Das passiert mir nicht oft.
Zum Hörbuch
Ich muss kurz schwärmen: Das Hörbuch ist grandios umgesetzt. Mehrere Sprecher:innen, perfekt auf die Charaktere abgestimmt. Und Uve Teschner ist dabei – mein absoluter Lieblingssprecher!
Mein Fazit
„Himmelerdenblau“ ist kein Thriller, den man einfach „wegliest“. Es ist ein Buch, das weh tut. Das uns zwingt, hinzusehen, nachzufühlen, Fragen zu stellen.
Es geht um Familie, um Verlust, um Schuld und darum, wie wir mit Erinnerungen umgehen. Es geht um die Medien und ihre Verantwortung. Und es geht um Theo, dessen Geschichte mich wahrscheinlich noch lange begleiten wird.
Ein Thriller, der nicht nur spannend ist, sondern auch Themen wie Trauer, Demenz, Familie und journalistische Ethik auf eine Weise behandelt, die lange nachhallt.
5 von 5 Sternen ⭐⭐⭐⭐⭐
Ein Meisterwerk. Ein Highlight. Und ganz ehrlich: Es könnte tatsächlich mein Buch des Jahres werden.
