Glaubt ihr, Menschen können sich wirklich ändern – oder holen uns unsere Taten immer wieder ein?
Kaum hatte ich das letzte Kapitel von „Yoko“ beendet, wusste ich: Ich muss unbedingt weiterlesen. Und mit „John“, dem zweiten Teil von Bernhard Aichners Rache-Reihe, ging es für mich weiter – düster, schonungslos und auf eine seltsam faszinierende Weise poetisch. Wieder einmal hat Aichner es geschafft, mich mit seinem ganz eigenen Stil in eine Welt zu ziehen, in der Gut und Böse verschwimmen, Moral biegsam wird und der Leser selbst nicht mehr weiß, wie er fühlen soll.
Yoko ist tot. Oder besser gesagt: Sie lebt unter einem neuen Namen auf einer kleinen, abgelegenen griechischen Insel. Als John führt sie ein ruhiges, fast idyllisches Leben. Sie arbeitet in einer Taverne, pflegt Gärten, und ihr Alltag scheint fast so etwas wie Frieden zu kennen. Doch dieser Frieden ist brüchig – wie feines Porzellan, das bei der geringsten Erschütterung zerspringt. Denn in Deutschland wird noch immer nach Yoko gesucht. Die Vergangenheit schläft nicht, schon gar nicht in einem Thriller von Bernhard Aichner. Und so rollt eine Fernsehreportage den Fall neu auf – mit Folgen.
Schon in „Yoko“ wurde klar, dass Aichner keine Geschichten für schwache Nerven schreibt. Auch in „John“ geht es nicht zimperlich zu. Es geht um Mord, um Rache, um Flucht, um das nackte Überleben. Aber das alles erzählt Aichner auf seine ganz eigene Weise. Seine Sätze sind kurz, präzise, manchmal fast schneidend. Kein Schnickschnack, keine ausschweifenden Beschreibungen. Und doch entsteht ein Sog, der einen Seite um Seite weiterzieht, manchmal gegen den eigenen Willen, weil man eigentlich tief durchatmen müsste – aber nicht kann. Weil es zu spannend ist.
Was mich besonders beeindruckt hat, war, wie nahtlos Aichner zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt, ohne dass man dabei den Faden verliert. Diese Sprünge in die Erinnerungen, in die alten Wunden, in das, was war und was nie wieder sein darf, sind meisterhaft inszeniert. Es braucht keine Kapitelüberschriften oder ellenlange Rückblenden – es passiert einfach. Und es funktioniert.
Trotzdem: So mitreißend die Geschichte auch war, ganz makellos ist sie für mich nicht geblieben. Manches wirkte mir zu konstruiert, zu sehr gewollt, fast schon überdramatisiert. Nicht jede Wendung hat sich für mich natürlich ergeben, manche Situationen waren etwas zu weit hergeholt. Auch wenn ich mich immer wieder gern habe überraschen lassen, kam der Realismus dabei gelegentlich ins Straucheln. Besonders im Mittelteil hat das Buch für mich leicht an Spannung eingebüßt. Der Anfang war ein absoluter Knaller – düster, drängend, gefährlich. Aber die Dynamik, die mich zu Beginn so gepackt hat, wurde zum Ende hin etwas abgeschwächt.
Was allerdings bleibt, ist Aichners unverkennbarer Stil – trocken, scharf, messerscharf beobachtend. Eine Atmosphäre, so kalt und distanziert wie ein Beweisfoto. Und doch voller Bedeutung. John alias Yoko bleibt eine faszinierende Figur. Ein Mensch, der so sehr am Rand der Gesellschaft lebt, dass man nicht weiß, ob man sie bewundern oder fürchten soll. Vielleicht beides.
„John“ ist kein Wohlfühlbuch. Es ist keine einfache Geschichte über Reue, Liebe oder Vergebung. Es ist eine Abrechnung. Und zwar mit allem. Mit der Vergangenheit, mit Erwartungen, mit Moralvorstellungen. Es ist hart, direkt, und manchmal auch verstörend. Aber genau das macht es so besonders.
Für mich war „John“ ein gelungener zweiter Band – spannend, sprachlich stark, aber mit kleinen Schwächen in der Handlung. Wer „Yoko“ mochte, wird auch diesen Teil verschlingen. Nur eben nicht ganz so atemlos wie beim ersten Mal. Und das ist okay. Denn Aichners Geschichten hallen nach – auch wenn man das Buch längst zugeschlagen hat.
Fazit: 4 von 5 Sternen ⭐️⭐️⭐️⭐️. Eine düstere, dichte Fortsetzung mit viel Spannung, einem einzigartigen Stil und einem Abstieg in die tiefsten menschlichen Abgründe. Kein Buch für Zartbesaitete – aber definitiv eines, das man nicht so schnell vergisst.