„Eine falsche Lüge“ von Sophie Stava

Einige Bücher machen direkt beim Klappentext neugierig, andere überraschen erst zwischen den Zeilen – „Eine falsche Lüge“ von Sophie Stava vereint beides. Und dazu kommt noch etwas, das ich immer besonders spannend finde: Es ist ein Debüt! Ich liebe es, neue Stimmen zwischen den Seiten zu entdecken – und diese hier hat mich direkt in einen Strudel aus Unwahrheiten, Täuschung und Identität gezogen.

Im Mittelpunkt steht Sloane Caraway, eine Frau, die man nicht so leicht in eine Schublade stecken kann. Ihre größte Schwäche – oder vielleicht auch ihre Superkraft? – ist das Lügen. Nicht, um andere zu verletzen, sondern um sich selbst ein bisschen interessanter, ein kleines Stück besonderer zu machen. Aus einer scheinbar harmlosen Notlüge – sie gibt sich als Krankenschwester aus, als sie einem fremden Kind hilft – entwickelt sich jedoch eine Dynamik, die sie schon bald nicht mehr kontrollieren kann.

Sie lernt durch diese Begegnung Violet, die Mutter des Mädchens, kennen. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich schnell eine Art Freundschaft. Doch die Beziehung ist – wie so vieles in diesem Buch – nicht das, was sie zu sein scheint. Sloane wird zur Bezugsperson der kleinen Harper, zum Kindermädchen, zur Vertrauten der Familie. Und irgendwann… zur beinahe perfekten Kopie von Violet selbst.

Was harmlos begann, wird immer seltsamer. Immer beunruhigender. Und spätestens als Sloane beginnt, sich selbst nicht mehr sicher zu sein, wem sie überhaupt noch trauen kann – merkt man als Leser: Diese Geschichte hat mehr Ebenen, als es auf den ersten Blick scheint.

Was mich besonders fasziniert hat

Die Erzählstruktur ist clever aufgebaut. Wir starten bei Sloane, wechseln später zu Violet und lernen ganz zum Schluss auch Jay, den Ehemann, näher kennen. Dieser Perspektivwechsel sorgt nicht nur für zusätzliche Spannung, sondern lässt uns Leser:innen auch immer wieder unsere eigene Wahrnehmung hinterfragen. Wem glauben wir eigentlich gerade – und warum?

Sloane als Protagonistin ist herausfordernd. Nicht, weil sie böse ist – sondern weil sie so menschlich in ihren Schwächen ist. Sie hat sich ein System aus Geschichten gebaut, das sie vor der echten Welt schützt. Anfangs war ich skeptisch, wie ich mit einer Figur warm werden soll, die fast ununterbrochen lügt. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich sie nicht nur verstanden, sondern sogar ein bisschen bewundert habe. Nicht für die Lügen – sondern für den Mut, sich eine andere Realität zu erschaffen, wenn die eigene sich nicht genug anfühlt.

Und dann ist da Violet – faszinierend, geheimnisvoll, fast schon undurchschaubar. Die Beziehung zwischen ihr und Sloane ist elektrisierend. Fast wie zwei Spiegel, die sich gegenseitig reflektieren, bis man nicht mehr weiß, wer eigentlich wer ist. Und genau da liegt die Stärke des Buches: Es spielt mit Identität, Wahrheit und Selbstinszenierung.

Sophie Stavas Schreibstil ist schnörkellos, aber eindringlich. Kein unnötiger Ballast, kein übertriebener Thrill, sondern eine stetig wachsende Spannung, die sich fast unbemerkt unter die Haut schleicht. Besonders im letzten Drittel zieht sie das Tempo an – hier überschlagen sich die Ereignisse, und man klebt förmlich an den Seiten.

Was mir ein bisschen gefehlt hat, war die inhaltliche Tiefe im psychologischen Bereich. Ich hätte mir hier und da noch etwas mehr Einblick in die inneren Beweggründe gewünscht. Manche Entwicklungen wirkten etwas überstürzt oder zu konstruiert – aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Gerade für ein Debüt ist das hier wirklich stark erzählt.

Es ist ein Buch, das ganz leise anfängt – und sich dann mit jeder Seite lauter in den Kopf schleicht. Es erzählt von dem Wunsch, jemand anderes zu sein, von Wahrheiten, die manchmal genauso gefährlich sind wie Lügen – und davon, wie leicht es ist, in einer fremden Rolle zu verschwinden.

Ein psychologisch spannender Roman mit Thriller-Vibes, vielen kleinen Wendungen, drei faszinierenden Erzählstimmen – und einem Ende, das man nicht kommen sieht.

Ich würde das Buch zwar eher als Spannungsroman als klassischen Thriller einordnen, aber das tut der Sogwirkung keinen Abbruch. Für ein Debüt hat mich Sophie Stava auf jeden Fall überzeugt – und ich bin neugierig, was noch von ihr kommen wird.

Wer  „Wenn sie wüsste“ von Freida McFadden mochte, wird sich hier auch wohlfühlen! 4/5 ⭐️⭐️⭐️⭐️