„Verirrt“ von Michaela Kastel

Ein Buch, das mich in diesem Jahr völlig unerwartet überrascht hat und sich schnell zu einem meiner absoluten Highlights entwickelt hat, ist „Verirrt“ von Michaela Kastel. Schon beim ersten Lesen hat mich die düstere, beklemmende Atmosphäre in ihren Bann gezogen, und es war fast unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen. Diese Geschichte ist weit mehr als ein einfacher Thriller – sie ist ein tiefgründiges, emotionales und zugleich erschreckendes Psychogramm einer Frau, die versucht, ihrem gewalttätigen Leben zu entfliehen und sich selbst zu retten.

https://www.penguin.de/buecher/michaela-kastel-verirrt/paperback/9783453428720

Die Handlung beginnt direkt intensiv: Felizitas, die Hauptfigur, flieht mitten in der Nacht mit ihrer kleinen Tochter vor ihrem brutalen Ehemann. Diese Flucht ist nicht nur ein verzweifelter Versuch, sich und ihr Kind in Sicherheit zu bringen – es ist der einzige Ausweg, den sie sieht, um nicht vollständig an den psychischen und physischen Misshandlungen zu zerbrechen. Man spürt förmlich die Panik und Angst, die sie antreibt, und die Ungewissheit, die sie auf ihrem Weg begleitet. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, und Kastel schafft es, diese unterschwellige Spannung durch das gesamte Buch hindurch aufrechtzuerhalten.


Felizitas flieht zu einem Ort, der für sie früher ein Zufluchtsort war: das Haus ihrer Mutter, abgelegen und einsam, tief im Wald. Doch was zunächst wie ein Ort der Sicherheit erscheint, entpuppt sich als Schauplatz finsterer Erinnerungen. Denn dieses Haus birgt eine dunkle Vergangenheit, und der nahegelegene See, in dem die Leichen von Kindern ruhen, wird schnell zu einem Symbol für all die Ängste und Traumata, die Felizitas schon lange mit sich trägt.


Kastel webt meisterhaft die Schrecken der Vergangenheit in die Gegenwart ein. Der Wald, der den einzigen Zufluchtsort umgibt, wird fast zu einem eigenen Charakter im Buch – düster, undurchdringlich und voller Geheimnisse. Die Atmosphäre, die sie schafft, ist bedrückend und dicht, und als Leser ist man permanent hin- und hergerissen zwischen der Angst, dass Felizitas’ gewalttätiger Mann sie gefunden hat, und der dunklen, unheimlichen Präsenz des Ortes selbst. Es gibt Momente, in denen man sich fragt, ob der wahre Schrecken von außen kommt oder ob er tief in Felizitas’ eigenen Erinnerungen und Ängsten liegt.


Was mich an diesem Buch besonders fasziniert hat, ist die Art und Weise, wie Michaela Kastel die innere Zerrissenheit und Verzweiflung ihrer Hauptfigur darstellt. Felizitas ist keine typische Heldin – sie ist eine Frau, die gezeichnet ist von ihrer Vergangenheit und gleichzeitig unglaublich stark, weil sie den Mut aufbringt, sich zu befreien. Ihr Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung ist herzzerreißend realistisch und nachvollziehbar. Man fühlt mit ihr, leidet mit ihr und hofft bis zum Schluss, dass sie einen Weg finden wird, ihrem Albtraum zu entkommen.


Doch Kastel lässt ihre Leser auch immer wieder zweifeln: Ist Felizitas tatsächlich in Sicherheit? Ist es wirklich ihr Mann, der sie verfolgt, oder lauert die wahre Gefahr in den Schatten der Vergangenheit? Diese Ungewissheit macht das Buch so unglaublich spannend. Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung, zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, und man weiß als Leser nie genau, woran man ist – genau das hält die Spannung bis zum letzten Moment aufrecht.


Neben der beklemmenden Handlung hat mich auch der Schreibstil von Michaela Kastel begeistert. Sie versteht es, mit wenigen Worten große Emotionen zu transportieren. Ihre Sprache ist klar, fast kühl, und gerade deshalb so wirkungsvoll. Ohne unnötige Schnörkel schafft sie es, eine dichte, intensive Atmosphäre zu erzeugen, die den Leser direkt in die Geschichte hineinzieht. Die ständige Bedrohung und der psychische Druck, unter dem Felizitas steht, sind jederzeit spürbar, was das Leseerlebnis extrem intensiv macht.


Ein besonderes Highlight des Buches ist auch das Ende – und keine Sorge, ich werde nicht spoilern! Doch ich kann sagen, dass Michaela Kastel es schafft, die Spannung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten, und das Finale ist ebenso überraschend wie emotional aufwühlend. Es ist eines dieser Bücher, bei denen man nach der letzten Seite erst einmal tief durchatmen muss, weil es einen so sehr in den Bann gezogen hat.


Zusammenfassend lässt sich sagen: „Verirrt“ ist ein herausragender Thriller, der sowohl durch seine dichte Atmosphäre als auch durch die tiefgründige Charakterzeichnung der Protagonistin besticht. Michaela Kastel hat hier ein Werk geschaffen, das nicht nur spannend ist, sondern auch berührt und nachdenklich macht. Für mich gehört es ohne Frage zu den Top-Büchern des Jahres, und ich kann es jedem ans Herz legen, der packende, emotionale Thriller liebt, die einem lange im Gedächtnis bleiben.


Von mir gibt es 5 von 5 Sternen und eine klare Leseempfehlung für alle, die sich auf eine düstere, psychologisch tiefgehende Geschichte einlassen wollen. „Verirrt“ ist eines dieser Bücher, das man so schnell nicht vergisst – und das mich völlig unerwartet zum Nachdenken und Mitfühlen gebracht hat.