Das neue Werk von Catherine Shepherd

Vor ein paar Tagen hatte ich eine dieser Nachrichten im Postfach, bei denen man automatisch lächeln muss – eine Anfrage von Catherine Shepherd selbst. Ob ich ihr neues Buch lesen möchte, den inzwischen zehnten Band der Julia-Schwarz-Reihe. Ganz ehrlich: Was für eine Frage? Natürlich wollte ich! Ich habe sofort zugesagt, das Buch geschnappt und mich noch am selben Abend in die ersten Seiten gestürzt.

Verstummte Narben“ beginnt mit einer Kälte, die man nicht nur liest, sondern richtig spürt. Ein nächtlicher Friedhof, schneebedeckt, still, unheimlich. Dort wird die Leiche einer Frau gefunden, nur im Nachthemd, und unter ihr ein Foto – das Auge einer anderen Frau, weit geöffnet, fast als würde sie den Leser anstarren. Daneben ein Datum, nur drei Tage entfernt. Schon dieser Moment erzeugt genau die Art von unheilvoller Spannung, die Catherine Shepherd wie kaum jemand sonst beherrscht.

Julia Schwarz ist sofort mittendrin. Bei der Obduktion entdeckt sie etwas, das alles, was man bisher glaubt zu wissen, mit einem Mal in Frage stellt: drei Kratzer über dem Hüftknochen, das Markenzeichen eines Serienkillers, der eigentlich sicher hinter Gittern sitzt. Und genau dort beginnt dieses perfide Spiel, das sich wie ein kalter Schatten durch das ganze Buch zieht. Der inhaftierte Mörder schweigt beharrlich, bis er plötzlich eine Forderung stellt: Er will nur mit Julia sprechen. Diese Gespräche sind so intensiv, so düster und aufgeladen, dass ich stellenweise wirklich die Luft angehalten habe. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto klarer wird, dass Julia nicht nur auf beruflicher Ebene gefordert ist. Stück für Stück brechen Türen in ihre eigene Vergangenheit auf, und was dahinter liegt, ist schmerzhaft und verstörend zugleich.

Die Atmosphäre dieses Thrillers hat mich komplett eingenommen. Der Winter, die Einsamkeit, der in Dunkelheit gehüllte Friedhof – all das ergibt ein Setting, das gleichzeitig wunderschön und beklemmend wirkt. Ich hatte beim Lesen oft das Gefühl, neben Julia zu stehen, den Schnee unter meinen Füßen zu hören und die Stille dieser gefährlichen Welt atmen zu können. Und dann diese kurzen Kapitel, die einem keine Chance lassen, das Buch aus der Hand zu legen. Immer wieder dachte ich: nur noch eins. Natürlich wurde es nie bei einem geblieben.

Was mir besonders gefallen hat, war die Balance zwischen Spannung, Emotion und intensiver Ermittlungsarbeit. Nach zehn Bänden fühlen sich Julia, Florian und Lenja fast wie alte Bekannte an, und genau deshalb fiebert man noch stärker mit ihnen mit. Es war, als würde ich zu einem vertrauten Team zurückkehren, das nur darauf wartet, den nächsten Fall gemeinsam zu lösen. Und dieser Fall hat es in sich – brutal, clever konstruiert und gleichzeitig sehr persönlich.

Ein kleiner Kritikpunkt bleibt trotzdem, und der betrifft das Ende. Wie in einigen Vorgängern kommt die Auflösung sehr schnell, fast ein bisschen zu knapp, sodass ich mir an dieser Stelle etwas mehr Raum gewünscht hätte. Aber das ist wirklich Jammern auf hohem Niveau, denn der Weg dorthin war so packend, dass es mich kaum gestört hat.

Alles in allem ist „Verstummte Narben“ ein wahnsinnig atmosphärischer, düsterer und emotionaler Thriller, der mich trotz eines langen Arbeitstages jeden Abend wieder zurück ins Buch gezogen hat. Für mich ganz klar einer der stärksten Bände der Reihe. Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und freue mich jetzt schon unheimlich darauf, Julia Schwarz im nächsten Band wiederzusehen – auch wenn es bedeutet, erneut Schlaf zu verlieren, weil Catherine Shepherd einfach zu spannend schreibt.